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Herzlich Willkommen

Besinnliche Weihnachtsgeschichten neuzeitlicher Autoren

Besinnliche Weihnachtsgeschichten neuzeitlicher Autoren stimmen den Leser gefühlvoll auf die Weihnachtszeit ein.

Ich bedanke mich ganz herzlich bei allen Autoren, die mir die Erlaubnis zur Veröffentlichung ihrer Geschichte erteilt haben.

Brennende Kerze und Christbaumkugel
Foto: Bernd Kasper / pixelio.de

Bitte beachten:
Das Copyright der Texte liegt bei den jeweiligen Autoren!

Autoren von A - Z

Annedore Lennartz

 

Gabriele Maricic-Kaiblinger

 

Vera Oelmann

Stefanie Sauter

Erika Schmidt

Christina Telker

 

Christine Wolny

 

Keine Weihnachtsgeschichte, aber sehr interessante Gedanken zum Thema Weihnachten, Wünschen und Schenken finden Sie - In diesem Artikel -

Neu! Noch mehr weihnachtliche Geschichten, auch von mir verfasste Weihnachtsgeschichten, findet ihr auf meiner neuen Weihnachtsseite.
Weihnachtsdekoration Engel, Schlitten und Weihnachtskugeln
Foto: annca / pixabay

Christina Telker
Tim und der Weihnachtsstern

In der Vorweihnachtszeit sind alle Kinder ganz besonders aufgeregt. Das war vor hundert Jahren so und ist bis heute noch so geblieben.

Tim ging es genauso. Jeden Abend, wenn er in seinem Bettchen lag, fragte er sich, ob es den Weihnachtsstern wirklich gibt.

Vor zweitausend Jahre habe er die Geburt des Jesuskindes angekündigt, die drei Waisen zu ihm geführt und den Hirten den Weg zum Stall gewiesen.
Jedes Jahr zum Weihnachtsfest leuchtet er auch heute noch strahlend am Himmel. Er leuchtet viel heller als die anderen Sterne und jeder kann ihn sehen, wenn er will. So erzählt man.

„Gibt es den Weihnachtsstern wirklich“, fragte er fast jeden Abend die Mutti wenn sie ihn ins Bettchen brachte. Und wie immer antwortete die Mutti: „Natürlich gibt es den Weihnachtsstern.
Du musst nur richtig hinsehen.“ Dann blickte Tim so lange durch sein Fenster in den Sternenhimmel bis er einschlief. Den Weihnachtsstern konnte er jedoch nicht entdecken.

Es war die Nacht vor dem heiligen Abend. Wieder hatte Tim in die Sterne geschaut.

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Da, plötzlich, fiel ein Mondstrahl auf sein Bett und eine Stimme sprach „Komm, Tim, steig auf, ich bringe dich zum Weihnachtsstern!“ Tim rieb sich die Augen. Wachte oder träumte er? Da sprach die Stimme ein zweites Mal „Nun komm schon, ich kann nicht ewig warten“. „Wer bist du?“ fragte jetzt der Junge. „Siehst du mich denn nicht, ich bin ein Mondstrahl! Nun steig schon auf, ich kann dich tragen.“ Nun wollte Tim nicht länger warten, schnell setzte er sich auf den Mondstrahl und los ging die Reise. Vorbei am großen Wagen, an der Milchstrasse und am alten Vater Mond bis hin zu einem großen Stern, dem Weihnachtsstern. Tim hielt sich ganz fest, denn die Fahrt ging rasend schnell. Als der Mondstrahl Tim auf dem Weihnachtsstern absetzte, war er im ersten Moment wie benommen. Strahlende Helle umgab ihn, dass er sich geblendet fühlte. „Du wolltest wissen ob es mich gibt“, sprach eine Stimme zu Tim. „Ja“, antwortete dieser etwas schüchtern. „Nun siehst du, dass es mich gibt! Komm setz dich, ich will die eine Geschichte erzählen“, fuhr nun freundlich der Stern fort.

Gerne kam Tim der Aufforderung nach. Alles war hier so kuschelig weich und warm wie in seinem Bettchen, nur viel, viel schöner. „Vor zweitausend Jahren, war ich ein Stern wie jeder andere“, begann der Weihnachtsstern zu erzählen „Gott Vater ging von Stern zu Stern den Himmel entlang.  „Ich habe eine besondere Aufgabe für einen von euch“, sprach er. Als er uns alle gesehen hatte, erwählte er mich.  „Ich werde meinen Sohn auf die Erde senden und du sollst es aller Welt anzeigen. Du wirst ab sofort ein ganz besonderer Stern sein – der Weihnachtsstern. Dein Glanz wird hell zur Erde strahlen, dass die Menschen dich sofort erkennen werden.“ So bekam ich meine Aufgabe“.

Der Stern erzählte noch weiter, von der Geburt des Jesuskindes, von den Hirten die ihn sahen und von den drei heiligen Königen, die ihm folgten. Aufmerksam hörte Tim ihm zu. „Jetzt weiß ich, dass es dich gibt“, sagte er freudig, als der Weihnachtsstern seine Erzählung beendet hatte. „Danke, dass ich dich besuchen durfte.“

„Jedes Jahr in der Weihnachtszeit erfülle ich einem Kind diesen Wunsch“, erzählte der Stern.
„Für dich wird es nun Zeit zur Erde zurück zu kehren. Bald ist die Nacht vorüber. Eine Bitte habe ich noch an dich. Erzähle allen Kindern auf der Erde von mir und von der wahren Weihnachtsgeschichte.“ Gerne versprach es Tim und setzte sich auf den Mondstrahl der gerade vorüber kam, so war er bald darauf wieder in seinem Bettchen.

Als am morgen die Mutti ins Zimmer trat waren Tim´s erste Worte: „Mutti darf ich dir die Weihnachtsgeschichte erzählen?“ Die Mutti lächelte und meinte: „Gerne Tim, heute Abend unter dem Tannenbaum.“

Eine weitere Weihnachtsgeschichte von Christina Telker: Der Wunschzettel

Gabriele Maricic-Kaiblinger
Heimatsuche 2015
Eine Herbergsgeschichte 

Sie wusste nicht, wie lange sie schon gegangen war und wo genau sie sich überhaupt befand. Die Menschenschlange vor ihr war lang, die hinter ihr noch länger.
Nur langsam ging es vorwärts.
Es war kalt und der Tag wich immer mehr der Dunkelheit der Nacht.
Wie weit die Grenze zu Österreich noch entfernt war, sie wusste es nicht.
Wie lange sie schon nichts mehr gegessen und getrunken hatte, sie wusste es nicht.
Sie spürte nur, dass sie nicht mehr lange konnte, dass Müdigkeit und Schwäche sie bald übermannen würden.
Sie war nicht allein, trug neues Leben in ihr, das bald in die Welt drängen würde.
In die Welt. In welche Welt?
In einer besseren Welt wollte sie ihr Kind gebären.
Das hatte sie sich geschworen, nachdem ihr Mann nach der Veröffentlichung eines regimekritischen, kriegsanprangernden Artikels, den er geschrieben hatte, erschossen worden war. Einfach so.
Nur weil er öffentlich zu seiner Meinung stand, einer Meinung, die Tausende im Land mit ihm teilten, aber kaum jemand zu äußern wagte.

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Aus Angst. Da hatte sie sich geschworen, ihrem Kind zuliebe dieses, ihr Heimatland zu verlassen, ihre Familie zu verlassen, damit es ohne Angst aufwachsen konnte.
Damit das Sterben ihres Mannes nicht umsonst gewesen war und das Andenken an ihn und die Freiheit, für die er sich eingesetzt hatte, gewahrt würde.
Dafür vertraute sie sich Schlepper an, obwohl sie wusste, dass diese illegal handelten und die Schutz suchenden Menschen schamlos ausnützten.
Dafür nahm sie das Geld an, das Verwandte und Freunde für sie zusammengelegt hatten, damit wenigstens eine von ihnen die Flucht bezahlen konnte.
Dafür stieg sie in ein überladenes Boot, obwohl sie wusste, dass auf diesem Weg schon viele Menschen den Tod gefunden hatten.
Dafür machte sie sich auf ins Ungewisse.

Endlich konnte sie die Grenze sehen. Die letzten Meter erschienen ihr noch schwerer. Dann drückte ihr jemand eine Flasche Wasser in die Hand. Sie trank hastig.

Sie war über der Grenze. Sie war in Österreich. Sie hörte Glocken läuten.
Weihnachten, ja Weihnachten wurde hier gefeiert. Ein Fest der Liebe, wie sie einmal gehört hatte, ein Fest des Zusammenseins.
Ein Fest zu Ehren der Geburt eines Kindes, das die Menschen hier als Gott verehrten.
Sie spürte ihr Kind in ihr, spürte wie es sich bewegte.
Seine Geburt würde i h r Fest sein.
Es würde in Freiheit geboren werden.
In Freiheit und Sicherheit.
Kurz musste sie lächeln.
Aber dann wurde sie wieder von der Wirklichkeit gepackt.

In Freiheit und Sicherheit ...

Und wenn sie nicht bleiben durfte?
Sie wollte nicht daran denken.
Nicht jetzt.
Nicht bevor ihr Kind geboren war.

Sie stieg in den Bus, zu dem sie geführt wurde und setzte
die Reise ins Ungewisse fort ...

Eine weitere Weihnachtsgeschichte von Gabriele Maricic-Kaiblinger: Ein Heilig-Abend

Christine Wolny
Das Schneeflockenkind

Viele Schneeflocken fielen vom Himmel auf die Erde, dicht an dicht. Die kleine
Schneeflocke hatte Angst vor dem Fliegen und schielte zur Seite.
Dort flog ganz dicht neben ihr eine dicke Flocke. Sie war wirklich dreimal so kräftig
und sah dadurch gemütlich aus. "Dauert es noch lange, bis wir auf der Erde sind?"
fragte da das Schneeflockenkind die Flocke.
"Du musst nämlich wissen, ich war noch nie auf der Erde, deswegen ist es mir so unheimlich."
"Bleibe ganz nah bei mir, dann kann Dir nichts passieren.
Ich kenne mich schon gut aus, ich bin jedes Jahr unten gewesen und ich weiß, wo es schön ist, "
antwortete die freundliche dicke Flocke. Nun war die Kleine beruhigt. Sie hatte eine Begleitung gefunden.

"Wir werden dieses Jahr auf einem Dach landen und möglichst in einem Haus, wo Kinder wohnen. Da geht es lustig zu und wir erleben viel.

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Ich war auch schon mal in der Stadt, aber da ist es mir zu laut und zu schmutzig
Da ist im Nu mein Kleid schwarz, und das liebe ich gar nicht. Manche Schneeflocken fallen auf die Straße.
Dort werden sie zertreten oder zerfahren. Wenn man auf dem Bürgersteig liegt, wird man mit einem groben Besen weggekehrt.

Im Garten finde ich es angenehm. Da liegt man mit vielen Flocken zusammen, und wir bilden eine wunderschöne Schneedecke.
Doch manchmal kommen die Kinder auf die Idee und bauen aus uns einen Schneemann.
Da werden wir zu Kugeln geformt und aufeinander gesetzt.
Ich war auch schon einmal ein Teil eines Schneemanns. Das hat mir Spaß gemacht.
Ich war damals in einem Gebirgsdorf herunter gekommen.
Dort war es grimmig kalt, und wir lebten in diesem Winter besonders lange, denn es dauerte Wochen,
bis die Sonne uns zum Schmelzen brachte und wir wieder zum Himmel aufstiegen."
Das alles erzählte die dicke Schneeflocke auf dem weiten Weg vom Himmel zur Erde.

Das Flöckchen hörte gespannt zu. Sie fand ihre Begleitung sehr freundlich.
"O, ja , ich komme mit Dir," erwiderte das Flöckchen. Nun habe ich gar keine Angst mehr.
Ich bin sogar neugierig, was mich erwartet."
Die Flocke äugte ganz angestrengt, je näher sie zur Erde kamen.
Wenn ein Windstoß kam, steuerte sie kräftig in Richtung Wohnhäuser.
Bald hatte sie sich ein Dach ausgesucht, und auf diesem wollten sie landen.
"Halt dich fest bei mir," damit Du mir auf dem Dach nicht abrutschst," sagte die große Flocke, und das

Flöckchen gehorchte. Die Landung klappte gut. Es waren schon viele andere Flocken auf dem Dach,
so dass es schon ganz weiß war. Ein paar Kinder rannten im Garten herum.
Zwei fuhren mit dem Rad und die anderen spielten Versteck.
Es war etwas Neues für das Flöckchen, denn es hatte noch nie Kinder gesehen.

Als es dunkelte, verschwanden die Kinder im Hause, und die Flocken hörten sie sprechen und treppauf, treppab laufen.
Die Kinder bastelten und wurden auch manchmal sehr laut. Doch irgendwann war es dann ganz still im Haus geworden.

Am nächsten Morgen rannten die Kinder dick eingemummt in den Garten. Sie freuten sich über den Schnee, formten Schneebälle,
warfen sich damit und lärmten dabei. Plötzlich weinte das kleine Mädchen.
Es hatte einen Schneeball ins Gesicht bekommen, und das tat weh.
Die Mutter stürzte aus dem Haus, putzte mit einem Taschentuch das Gesicht trocken, redete ihm gut zu und streichelte es.
Dann war alles wieder gut. Der Garten sah nach der Schneeballschlacht nicht mehr so gut aus, wie vorher.
Ab und zuschaute die dunkle Erde hervor, und mit der weißen, herrlichen Schneedecke war es vorbei.
Nur auf den Dächern, wo die Menschen nicht hinkamen, blieb die schöne, weiße Schneedecke erhalten,
und das Schneeflöckchen freute sich darüber, dass es da oben lag und noch viele, viele Tage zusehen konnte, was auf der Erde geschieht.

Stefanie Sauter
Große Zweifel im Advent

Die Tür fliegt auf und ein kleines Mädchen stürmt ins Zimmer.
„Oma, Oma - …“, der Rest geht in einem tiefen Schluchzen unter.
Geschwind kuschelt sich Lena neben ihrer kleinen Großmutter
in den beigen Ohrensessel am Kamin und verbirgt das Gesicht an deren Schulter.
Omas typischer Geruch nach Wiesenblumen, selbstgebackenen Keksen und scharfer Zahnpasta steigt ihr in die Nase.
Das monotone Tick Tack der Pendeluhr, begleitet vom Knistern der Holzscheite, lässt Lena nach und nach ruhiger werden.
„Komm, ich mach dir eine heiße Schokolade.“
Die dampfende Tasse in beiden Händen haltend, sieht Lena ihre Oma verzweifelt an.
„Oma, Oma, gibt’s das Christkind gar nicht? Hat Amelie gesagt!“
„Ach Lenchen.“ Oma streicht langsam über Lenas blonde Locken.
„Wer lügt denn jetzt? Amelie oder Mama und Papa?“ Dicke Tränen kullern über ihr Gesicht.
„Man darf nicht lügen. Sagt Mama!“

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Ach Lenchen. So einfach ist es nicht.“
„Doch! Und was ist mit dem Osterhasen, dem Nikolaus oder den Engeln, die Opa beschützen?
Ist Opa alleine?“ Auf Lenas Wangen ziehen die Tränen glitzernde Spuren.
Oma nimmt Lena behutsam die Tasse aus der Hand und schaut ihr fest in die Augen.
„Nein. Opa ist nicht alleine.“ Sanft wischt sie ihrer Enkelin mit dem Daumen über die nassen Wangen.
Lena spürt, wie der harte Klumpen in ihrem Bauch langsam kleiner wird. „Aber…“
„Weißt du, es gibt Dinge, die nicht so einfach zu begreifen sind.“
Oma wickelt sich eine von Lenas Locken gedankenverloren um den Zeigefinger. 
„Wie fühlt es sich an, wenn Mama dich umarmt?“
„Schön.“
„Und?“
„Und warm irgendwie.“
„Das nennt man Liebe. Oder Geborgenheit.“
„Hm.“
„Würdest du also sagen, dass es Liebe und Geborgenheit gibt?“
„Ja.“
„Und, hast du sie schon mal gesehen?“
„Was gesehen?“
„Liebe?“
„Nein, Oma. Das kann man doch nicht sehen!“ Lena guckt Oma stirnrunzelnd an.
„Hm. Genau. Du hast Recht. Aber es gibt sie trotzdem?“
„Ja natürlich.“
„Weißt du, mit dem Christkind ist es ähnlich.“
„Wie jetzt?“
Nachdenklich schaut Oma aus dem Fenster in den Garten.
Nach gefühlten 100 Tick Tacks der Pendeluhr stupst Lena sie vorsichtig an. „Oma?“, flüstert sie.
Den Blick noch in die Ferne gerichtet, dreht sich die Großmutter zu Lena um.
„Was ist Weihnachten für ein Gefühl für dich?“
„Ooh. Geschenke.“ Lenas Augen strahlen.
„Und?“
„Was meinst du, Oma?“
„Sind es nur die Geschenke? Die gibt’s auch an deinem Geburtstag.“
„Hm. Stimmt. Aber Weihnachten ist anders.“
„Ja?“
„Ja! Es riecht nach Keksen. Und der Weihnachtsbaum! Und überall funkeln kleine Lichter.“
„Stimmt“, nickt Oma lächelnd und ihr Gesicht bekommt noch viel mehr Falten.
„Und deine Augen funkeln. An Heilig Abend sind alle Kinder glücklich. Das ist ein schönes Gefühl, Weihnachten, oder?“
„Ja. Ist es. Aber… Amelie sagt, ihre Eltern kaufen die Geschenke! Also gibt’s kein Christkind!“
„Ach Lenchen.“ Oma knetet ihre schmalen Hände.
„Wäre dein Weihnachtsgefühl anders, wenn Mama und Papa die Geschenke kaufen würden?“
Lena tippt sich mit dem Zeigefinger nachdenklich an die Nasenspitze.
Diesmal stupst Oma sie nach vielen Tick Tacks in die Seite.
„Weiß nicht.“
„Hast du an Weihnachten schon mal was verschenkt?“
„Aber Oma!“ Abrupt setzt sich Lena auf. „Dein Topflappen! Der grün-rote!“
„Ich weiß, ich weiß…“, lächelt Oma verschmitzt. „Wie könnte ich das vergessen.
Ich habe mich sehr über dein Geschenk gefreut!
Und trotzdem hatte ich dieses wunderbare Gefühl, das man nur an Weihnachten spürt. Weißt du, was ich meine?“
„Hm. Ja.“
„Weißt du, du kannst das Christkind nicht sehen, nicht anfassen. Aber du kannst es fühlen. Tief in deinem Herzen kannst du es fühlen.
Es ist ein warmes, goldenes Gefühl. Es tröstet dich, wenn du traurig bist. Es kennt deine Träume und deine Wünsche.
Und vielleicht, ja vielleicht braucht es manchmal ein wenig Hilfe, um diese Wünsche zu erfüllen…“ Oma schaut Lena lange an.
„Ohh… Meinst du, Mama und Papa helfen…“ Lenas himmelblauen Augen werden ganz groß und rund. „Dann…, - dann hat keiner gelogen.“
In Lenas Bauch breitet sich ein warmes Gefühl aus. Freudig springt sie auf, drückt ihrer Oma einen Kuss auf die Wange und hüpft zur Tür.
„Das muss ich unbedingt Amelie erzählen. Tschüss, Oma!“
„Tschüss, meine Kleine!“ Mit einem Lächeln lehnt sich die Großmutter in ihrem Sessel zurück,
während draußen die ersten Schneeflocken leise vom Himmel fallen.

Annedore Lennartz
Der Wunschkönig

Es war einmal ein König, der wohnte hoch oben in den Bergen, genau dort, wo sich die Felsen senkrecht auftürmen und so glatt waren, dass niemand sie bezwingen konnte. Nur ein kleiner, fast nicht sichtbarer, Pfad führte durch die Mauern aus Stein zum Schloss hinauf. Er war gerade so breit, dass ein Mensch oder ein Tier hindurch passte. Wollten beide gemeinsam zum Schloss aufsteigen, mussten sie hintereinander wandern. Niemand, der auf diesem Pfad ging, konnte etwas Größeres in seinen Händen halten, denn wenn sich die Arme zu weit vom Körper entfernten, berührten sie die Steinwände und machten ein Weiterkommen unmöglich. Alle Lasten mussten auf dem Rücken getragen werden, durften aber immer nur so breit sein, wie der Rücken des Trägers war. Das Wenige, das der König zum Leben brauchte, wurde so zu ihm gebracht.

Der König hoch oben in den Bergen war ein besonderer König, er konnte Wünsche erfüllen. Er tat es gerne, wenn sie ihm richtig und als sinnvoll erschienen. Nicht jeder Wunsch wurde von ihm erfüllt, denn er wusste, was für die Menschen, die ihn besuchten für ihr Leben wichtig war.

Und so stiegen Männer und Frauen mit allerlei Geschenken auf dem Rücken den steilen Pfad hinauf, um den Herrscher milde zu stimmen und zur Erfüllung ihrer Wünsche zu bewegen. Essen und Trinken, Becher und Tassen, Teller, Stoffe und Silber gelangten so zum Schloss des Königs. Vieles gab der Herrscher seinen Gästen wieder zurück, nur das, was er und sein Gefolge zum Leben brauchten, behielt er für sich. Er behielt auch für sich, dass er eine ganz besondere Gabe besaß. Er konnte den Menschen direkt ins Herz sehen und so sah er auch die Bewegründe, die sie den weiten beschwerlichen Weg zurücklegen hatten lassen. Viele Männer und Frauen mussten sich unverrichteter Dinge wieder auf den Rückweg machen, weil die Wünsche, die sie dem König vortragen wollten, einem törichten und habgierigen Gedanken zum Ursprung hatten. So stiegen sie den steilen Berg mitsamt ihrer Enttäuschung und ihren Geschenken wieder hinunter. Sie versanden nicht, warum sie nicht erhört worden waren, ahnten aber in ihrem Innersten, dass der König über eine Gabe verfügen musste, die für sie fremd und unergründlich war.

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Eines Tages stand der König am Fenster seines schönsten Schlossturmes. Er sah in den Hof. Es war Winter geworden und die ersten Schneeflocken tanzten aus dem grauen Himmel zur Erde. Ein kleines Mädchen betrat mit zaghaften Schritten das raue Pflaster des Innenhofes. Der eisige Wind zerrte an seinem dünnen Mäntelchen. Schützend zog das Kind den Stofffetzen enger um sich, als könne es sich so gegen die Kälte wehren.

Der Anblick des frierenden Kindes dauerte den König so sehr, dass er eilends seinen Diener anwies, das Mädchen augenblicklich zu ihm zu bringen. Der Herrscher selbst hüllte es in eine warme Decke und setzt es direkt neben den großen Kamin, in dem ein prasselndes Feuer brannte. Die Köchin brachte etwas zu Essen und eine Tasse warmen Tee.

Erwartungsvoll sah der König das Mädchen an und fragte mild: „Was führt dich zu mir, mein Kind?“ Er blickte dabei auf seine kleine feine Hand, die ganz starr vor Kälte zu einer Faust geschlossen war. „Welchen Wunsch soll ich Dir erfüllen?“ Zwei blaue Augen, durch dringlich wie ein Bergsee, sahen ihn verwundert an und gaben dem alten Herrscher, die Möglichkeit direkt in das Herz des Kindes zu sehen. Es war klar und ohne Fehl wie ein Kristall.

„Nichts“, sagte das Mädchen mit leiser Stimme. „Ich wünsche mir nichts von Dir, mein König“. „Nichts“? Der König war verwundert. „Aber jeder, der zu mir kommt, will etwas von mir“. „Das will ich auch“, antwortete das Kind. „Ich will dir etwas schenken.“ Verwunderung stand seinem Gegenüber ins Gesicht geschrieben. „Ich habe an Dich gedacht, als ich im Tal im rauen Wind gespielt habe. Ich habe zu den Bergen hinauf gesehen und wusste bald kommt der Winter. Es hat ja schon angefangen ganz fein zu schneien. Ich habe die Türme deines Schlosses gesehen, da wollte ich zu Dir. Du tust den Menschen so viel Gutes, immer denen, die es auch wirklich verdient haben. Ich wollte Dir so gerne auch etwas schenken, um Dir eine Freude zu machen, denn Du musst Dich auch manchmal hier oben, trotz aller Besucher und Bittsteller, sehr einsam fühlen. Ich habe ja kein Geld, um Dir etwas zu kaufen und wie ich mich so umsah, da ist mein Blick auf sie gefallen. Es ist die letzte und auch die schönste, die ich je gesehen habe und die sollst Du haben“.

Langsam, ganz behutsam öffnete das Kind seine kleine Faust. Darin lag eine wunderschöne Blüte, so wie der König noch keine gesehen hatte. Der König wischte sich  Tränen aus seinen Augen, denn so viel Liebe war ihm noch nie begegnet. Sanft strich er dem Kind über sein helles Haar.

Als der alte König einige Jahre später starb, fand man in seiner rechten Hand eine getrocknete Blüte, deren unglaubliche Schönheit immer noch zu erkennen war und ein mit einem kostbaren Samtband umwickeltes Schriftstück. Er hatte dem kleinen Mädchen sein Schloss und alles was er besaß, geschenkt.

 

Diese Geschichte ist meiner Mutter

Magda Rochna gewidmet,

die am 11.Oktober 2013 gestorben ist.

 

Erika Schmidt
Ist das Weihnachten?

Ich möchte euch eine kleine Geschichte zu Weihnachten erzählen, die ein bißchen zum Nachdenken anregen soll.
Vielleicht ist es euch auch schon mal so gegangen, ich frage mich manchmal:
Was ist eigendlich Weihnachten?
 
Natürlich, Weihnachten ist das Fest der Liebe, und dazu gehören selbstverständlich Geschenke, viele Geschenke.
Ist doch klar, jeder ist enttäuscht, wenn er nichts bekommt. Er fragt sich: Hat man mich vergessen? Aber diese Geschenke müssen erst mal beschafft werden.
Man kann sie natürlich selber machen, aber die will dann meistens keiner und wer hat denn dazu heute auch noch Zeit.
Einfacher ist es in den Laden zu gehen und einzukaufen, könnte man denken. Aber so leicht ist das nicht. Vor dem Einkauf steht das große Fragezeichen:

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Was schenke ich wem? Man darf natürlich ja niemanden vergessen. Kinder, Eltern, Oma, Opa, das ist klar:
Dann Onkel, Tante, Neffen, Paten, ja nicht vergessen den Nachbarn der auf die Wohnung achtet und die Blumen gießt wenn man im Urlaub ist,
die Zeitungsfrau, den Briefträger, die Männer von der Müllabfuhr, die Kollegen und all die guten Geister um uns herum. Keinen vergessen, sonst ist er beleidigt.

Das nächste Problem ist, was schenke ich? Da ist es schon hilfreich wenn man jedes Jahr eine Liste macht, wer was bekommen hat, dann gibt es keine Fehler.
Es ist sowieso schon ein Streß so durch die Geschäfte zu hetzen und Geld auszugeben bis man für jeden etwas hat. Das gehört halt dazu.
Aber ist das nun Weihnachten?

Da gibt es noch mehr, auch gutes und reichliches Essen gehört dazu. Es soll jedem schmecken, aber die Geschmäcker sind ja bekanntlich sehr verschieden.
Da heißt es sehr gut vorbereiten damit alle zufrieden sind. Und dann muß das Ganze ja auch noch gekocht werden.
Das heißt für die letzten Tage vor Hl. Abend Streß pur.Es will sich ja keiner nachsagen lassen, daß es an Hl. Abend nichts gescheites zu essen gab.
Nicht vergessen, den Christbaum zu besorgen, und natürlich muß der auch schön geschmückt werden.
Wobei da ja manchmal auch die Kinder helfen, wenn man Glück hat. Da gehört nun mal auch dazu.
Ist das nun Weihnachten?

Aber vorher gibt es ja noch den Advent. Man sagt das sind die ruhigen Tage, die Zeit der Besinnung.
Ab 1. Dezember wird jeden Tag ein Türchen am Adventskalender auf gemacht. Jede Woche wird eine Kerze mehr angezündet.
Man trinkt einen Glühwein und ißt die selbst gebackenen Plätzchen. Abends soll man zur Ruhe kommen und die Stille genießen.
Vorausgesetzt man hat überhaupt noch Zeit dazu, vor lauter Hektig und Stress wegen der vielen Vorbereitungen. Doch es gehört halt auch dazu.
Ist das nun Weihnachten?

Wenn ich so recht überlege, das kann doch nicht alles sein.  War da nicht  noch etwas? Da fällt mir wieder der Religionsunterricht in der Schule ein, genau,
Weihnachten ist die Geburt von Jesus, dem Sohn Gottes. Dieses Kind sollte den Frieden auf Erden bringen.
Manchmal denke ich, daß das nicht so recht geklappt hat mit dem Frieden. Vielleicht sollte Jesus noch mal auf die Welt kommen und einen neuen Versuch starten.

Aber was soll`s, wenn man in der Hl. Nacht in die Kirche geht und der Pfarrer das Evangelium liest, da heißt es: 
" Und Maria gebar einen Sohn, wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, weil in der Herberge kein Platz für sie war".
Und wenn am Schluß alle Lichter aus gehen und die ganze Kirche "Stille Nacht" singt, dann geht einem doch ein freudiges Kribbeln den Rücken runter,
und dann weiß man ganz genau:                                             

                                              Das ist Weihnachten!

Vera Oelmann
Benjamin und der Friede auf Erden

"Puh" - Benjamin schüttelte sich, denn er fror entsetzlich in seinem dünnen Hemdchen.
Benjamin war ein kleiner Engel. Gerade hatte er die dicke feuchte Wolke durchflogen,
nun tanzten die Schneeflocken wie weiße Glitzersterne um ihn herum
und prickten und kitzelten ihn an den nackten Armen und Beinen.

"Nein, wie ungemütlich", dachte er bei sich und bereute es fast, den immer wohl temperierten Himmel verlassen zu haben.
Aber jetzt schon aufgeben? Nein, das wollte er nicht. Und dann sah er sie vor sich, die große Stadt,
auf die er sich so gefreut und vor der ihn oben alle gewarnt hatten.

Hei, wie es glitzerte und funkelte da unten. Herrlich! Die große Stadt in der Vorweihnachtszeit! 
Er konnte sich nicht satt sehen an der leuchtenden Pracht und bremste ab,
um dieses großartige Schauspiel so richtig genießen zu können.
Auch die Kälte spürte er nicht mehr, ganz warm wurde ihm vor lauter Aufregung und Vorfreude.
Und sein kleines empfindsames Engelsherz pochte bis zum Hals. Mit großen Augen schwebte er ganz behutsam tiefer und tiefer..

Musikfetzen  drangen  an sein Ohr. Er meinte, himmlische Gesänge zu erkennen: "Vom Himmel hoch, da komm ich her".
Wie passend!  Ob die Menschen das wohl für ihn, den kleinen Benjamin, sangen? Hatten sie ihn schon entdeckt?
Das konnte eigentlich nicht sein, denn dafür war er noch viel zu weit entfernt von der Erde.
Aber vielleicht hatten seine großen Geschwister, die als Schutzengel auf der Erde arbeiten, den Menschen ja gesagt,
dass ihr kleiner Bruder, der Benjamin, kommt und dass sie ihn freundlich empfangen sollten. „Ja, so wird es sein“,
dachte er und lächelte, „meine Geschwister konnten einmal wieder nicht den Mund halten.“

„Schutzengel ist ein schöner Beruf“, überlegte er weiter. „Das möchte ich später auch einmal werden.“

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Er stellte es sich wunderbar vor, darauf aufzupassen, dass den Menschen und Tieren kein Unheil geschieht. 
Und all  zu  groß war  die Berufsauswahl   für  Engel  ja   nun auch nicht: es gab Chorsänger, Sternenputzer, Wolkenschieber,
Keksbäcker, Weihnachtsbastler  und langweilige dickbäuchige Kerzenständer, die nichts weiter zu tun hatten, als herumzustehen.
Ja, der Beruf eines Schutzengels schien ihm da doch der schönste zu sein, 
denn  dann  konnte  man den Menschen  und  Tieren helfen,
wenn sie in Not und Gefahr, wenn sie krank oder traurig waren. Schutzengel.
Das war ein Beruf nach seinem Herzen, auch wenn die Aufnahmebedingungen in diesen Berufsstand nicht ganz einfach waren
und man sich wahrscheinlich oft die Nächte um die Ohren schlagen musste.
„Vom Himmel hoch, da komm ich her...“  Benjamin summte mit, zuerst ganz leise, aber dann trällerte er laut und fröhlich vor sich hin.
Er kannte dieses Lied, denn sie hatten es erst kürzlich oben im Engelschor geübt.

„Vorsichtshalber“, hatte Angelo, der geflügelte Himmels-Chorleiter, gesagt.
„Falls es in den Gotteshäusern am Heiligen Abend mal wieder nicht so richtig klappt.
Dann könnt ihr eingreifen und heimlich mitsingen.“

„Was  heißt, erst  am  Heiligen  Abend?“ Benjamin verstummte, denn schon jetzt bemerkte er völlig falsche Töne.
Alles klang schrecklich durcheinander. Dazwischen hupte und quietschte es, dass ihm die Ohren weh taten.
Und was aus der Ferne so geheimnisvoll leuchte und funkelte,
formierte sich zu nachgemachten Sternen in ab-sonderlichen Farben, zu Tannenbäumen,
an denen elektrische Kerzen in atemberaubendem Tempo an und aus gingen und zu grellen, blendenden Schriftzügen.
Düfte  stiegen  auf  von   Lebkuchen und Kräuterbonbons, aber auch von Schnaps und Wein,
von verbranntem Fett und Fleisch - und irgendwie roch es nach Gas.
Dann, zwischen all dem  Geblitze, Getöse und Gestank, ein graues, unheimliches Gewimmel,
das sich vor bunten Holzbuden drängelte, johlte, schrie und sich gegenseitig hin und her schupste.  
Waren das etwa die Menschen? Viele von ihnen trugen rote Zipfelmützen und hatten lange weiße Bärte.
Richtig beängstigend sahen sie aus.  Nein, das konnte sie wohl doch nicht sein, die große Stadt in der Vorweihnachtszeit.
Er musste sich verirrt haben. „Hoffentlich haben die  im Himmel das nicht mitbekommen,
die werden kichern und sich über mich lustig machen“, dachte Benjamin und änderte mit schnellen Flügelschlägen die Richtung.

Ganz allmählich wurde es stiller und friedlicher unter ihm.
Er flog über weiß beschneite Dächer und Gärten mit Bäumen, an denen winzige Lichter funkelten.

Er freute sich über erleuchtete Fenster, in denen Sterne  und Fotos von seinen himmlischen Geschwistern hingen und  langsam begann er,
Gefallen zu finden an dem Planeten Erde, der von oben aussah wie eine große  blaue  geheimnisvolle  Kugel.

"Du bist noch zu klein und zu unerfahren, um auf die Erde zu fliegen", hatte Petrus zu ihm gesagt.
Du wirst traurig und enttäuscht sein, wenn du zurückkommst, denn es ist durchaus nicht immer schön dort unten".

Aber Benjamin hatte so sehr gebettelt und Petrus so flehentlich angesehen, dass es dem alten Mann ganz warm wurde um sein Herz.
"Na, meinetwegen flieg los", hatte er schließlich kopfschüttelnd eingewilligt,
„Erfahrung macht zwar klug, aber jammere hinterher nur nicht all zu sehr, wenn du enttäuscht wirst".
Dann hatte er seufzend hinter dem kleinen Engel hergeschaut, der mit einem Jauchzer davonbrauste. "Wenn das nur gut geht!", stöhnte er.

Plötzlich sah Benjamin mitten in einem gepflegten verschneiten Park ein großes hellgraues Gebäude.
Die vielen erleuchteten Fenster sahen aus wie Lichterketten und luden  richtig dazu ein, einmal hineinzuschauen.
Was mochte sich dahinter verbergen? Vielleicht eine Zweigstelle vom Himmel?
Der kleine Engel war neugierig und landete direkt vor der breiten gläsernen Eingangstür
neben dem beleuchteten Tannenbaum auf einem Brunnenrand.
"Schön ist es hier", dachte er "und so friedlich."

Während er sich staunend umsah, öffnete sich die Tür. Heraus traten, eingehüllt in elegante warme Mäntel, ein älterer Mann und eine junge Frau.
"Hm, so aus der Nähe und einzeln wirken sie eigentlich sehr freundlich, die Menschen", dachte Benjamin, "gar nicht mehr so bedrohlich,
wie die lärmende graue Masse, die ich vorhin von oben sah."

"Frieden auf Erden", rief er ihnen mit strahlendem Gesichtchen zu. Das hatte  der Erzengel Gabriel ihm  mit auf den Weg gegeben.
"Du musst ihnen sagen, dass sie Frieden halten sollen" hatte er gesagt, "denn sie streiten oft  und führen schreckliche Kriege gegeneinander.
In der Weihnachtszeit  müssen  Engel auf Erden die Friedensbotschaft verkünden,
so wie wir es damals vor  2000 Jahren in Bethlehem getan haben".
Diesen Rat von einem der Oberengel hatte Benjamin sich zu Herzen genommen.
 "Frieden auf Erden" rief er deshalb noch einmal, diesmal etwas lauter, weil er glaubte, die Menschen hätten ihn  nicht bemerkt.

"Schauen Sie sich das an," sagt plötzlich die Frau, mit ihren spitzen beringten Fingern auf den kleinen Engel weisend,
"jetzt schicken sie doch  tatsächlich ihre Kinder direkt vor unsere Firma zum betteln.
Reicht es denn nicht schon, dass wir überall in der Stadt von Bettlern belästigt werden? Unverschämt!"
Der Mann  schüttelte den Kopf: "Meinen Sie wirklich, Gnädige Frau?", erwiderte er zweifelnd, einen kurzen Blick auf Benjamin werfend,
"das sieht mir doch eher nach einem raffinierten Werbetrick aus."

"Ich bin ein Engel, ich wollte euch......" Aber die beiden Menschen beachteten ihn nicht mehr und eilten, sich angeregt unterhaltend, weiter.
Benjamin war enttäuscht. So einfach war das mit der Friedensbotschaft wohl doch nicht. Aber deshalb gleich aufgeben? Nein, das wollte er nicht.
Er huschte zum Haus und schaute in eines der erhellten Fenster.
Männer saßen da, korrekt gekleidet in dunklen Anzügen, weißen Hemden und quergestreiften Krawatten,
ihre ernsten Gesichter über Berge von Papier, auf das eine Unmenge von Zahlen gedruckt war,  gebeugt.
Auf dem Schreibtisch stand ein Adventsgesteck. Aber die Kerze war noch ganz neu, sie hatte noch nicht gebrannt.
"Komisch", dachte der kleine Engel, "wo doch der dritte Advent schon vorbei ist."

Er huschte zum nächsten Fenster. Dahinter entdeckte er emsiges Treiben. An einem Computer saß eine Frau.
„Flupp...flupp...flupp...“ Der  Drucker spuckte immer die gleichen Weihnachtskarten mit immer dem gleichen Text in einen Karton.
Diese legte die Frau lustlos in eine Mappe und brachte sie zu einem der Zahlen prüfenden Männer,
der ohne zu lesen unter jede Karte mit großem Schwung seinen Namen schrieb.

In der anderen  Ecke des Raumes packte eine andere junge Frau mit mürrischem Gesicht
immer die gleichen Geschenke mit gleichem Geschenkpapier ein.
„Zu Weihnachten beschenken  sich  die  Menschen aus lauter  Freude   darüber,  dass  Gott ihnen seinen Sohn geschenkt hat.
Es sind Liebesgaben, die sie sich gegenseitig überreichen“, hatte Inocencia, die Leiterin der Himmelswerkstatt einmal gesagt.
„Von Freude und Liebe ist hier aber nicht viel zu sehen“, dachte Benjamin  irritiert, fasste allen Mut zusammen
und  klopfte kräftig an die Fensterscheibe:  "Friede auf Erden....", rief er.

Entsetzt fuhren die im Zimmer arbeitenden Leute auf und starrten ihn an: "Schaut mal", rief die päckchenpackende Frau,
"schon wieder einer von diesen aufmüpfigen Demonstranten.
Wahrscheinlich ist der bei einer der letzten Friedens-Demos übrig geblieben.
Die schrecken doch vor nichts zurück!" Die andere griff zum Telefon.

Ehe der kleine Engel sich versah, wurde er von starken Händen am Schopf gefasst und ins Gebäude gezerrt.
Und dann standen sie um ihn herum all die starken Männer und verängstigten Frauen, teils in bedrohlicher Haltung, teils aber auch etwas zweifelnd,
weil er so klein war, nur ein Hemd trug und nackte Füße hatte. "Aber...ich bin doch ein Engel", wagte er kläglich zu flüstern. Keiner hörte auf ihn.

"Wir sollten die Polizei oder besser noch den Erkennungsdienst ein-schalten", sagte eine energische Männerstimme.
Den Einwand einer älteren mitleidigen Dame, dass er doch noch ein Kind und vielleicht krank sei, überhörte  man geflissentlich.
Auch die zaghaft geäußerten Bedenken, dass sich die Eltern um dieses herum-streunende Kind sorgen könnten,
schob man einfach beiseite mit den Worten:
„Hier geht es schließlich um die Sicherheit unseres Unternehmens und nicht um irgend welche Gefühlsduselei!“

In   diesem   Augenblick betrat eine junge Frau das Foyer, ein kleines Mädchen an der Hand führend.
"Komm Joselyn, wir schauen mal, ob Vati schon fertig ist. Dann gehen wir gleich zusammen zum Weihnachtsmarkt.
Da kannst du Karussell fahren und dir ein großes Lebkuchen-Herz kaufen", sagte sie.

Aber die Kleine hörte nicht zu. Mit großen, leuchtenden Augen sah sie auf Benjamin.
"O Mutti, schau doch mal, ein richtiger Engel," rief sie beglückt. Die Mutter wandte  den Kopf und streifte Benjamin mit kurzem Blick.
"Ach was, Engel gibt's nicht", sagte sie barsch und zog das Kind mit sich fort.

„Engel gibt es nicht?“ Benjamin war empört. Jetzt reichte es! Das war dem kleinen Engel nun doch zu viel.  
Er atmete dreimal tief durch,  schwang energisch seine Flügel und sauste durch die offenstehende Tür hinaus ins Freie.

Immer höher schwebte er, zunächst durch die dunkle Wolke und dann direkt in das strahlende Licht, direkt in den Himmel hinein.
Und während er dahin flog, weinte er bitterlich vor sich hin. Zu Eis gefroren, fielen die Tränen zur Erde hinab.
Die Menschen waren ihm nach draußen gefolgt. Mit offen stehenden Mündern und ungläubigen Blicken schauten sie hinter ihm her.
"Der ist weg, den kriegen wir nicht mehr", sagte einer. Ein anderer nickte: "Verdammt noch mal, die haben Tricks auf Lager!
Und jetzt fängt es auch noch an, zu regnen.  Eisregen....., der hat uns gerade noch gefehlt...."

Anmerkung des Beobachters

Ich weiß nicht, ob Benjamin ausgelacht wurde, als er verzweifelt und weinend im Himmel eintraf.
Jedoch kann ich es mir einfach nicht vorstellen, denn Schadensfreude gibt es unter Engeln nicht.

Ich denke viel eher, dass Petrus ihm tröstend übers Gefieder strich,
die gute Inocencia ihn mitleidig an ihren großen Busen drückte
und der sangesfreudige Angelo die himmlischen Chormitglieder aufforderte, ihm ein Heilegäns´chen-Lied“ zu singen.

Dennoch: so sehr ich auch versuchte, Benjamin am Heiligen Abend irgendwo zwischen all’ dem Geflimmer zu entdecken
– sei es in der Kirche, hinter einer Kerze, am Tannenbaum oder in einer der  aufgestellten Krippen – er blieb einfach verschwunden.

Bleibt nur zu hoffen, dass er engelsgemäß nicht nachtragend ist und den Glauben an das Gute im Menschen und seinen Wunsch,
ein Schutzengel zu werden, nicht aufgibt, dass er sich eines Tages wieder auf den Erdenweg macht,
um uns  die Botschaft vom Frieden zu verkünden.
Und dass wir ihn dann mit offenen Herzen bei uns aufnehmen.
 

Christina Telker
Der Wunschzettel

Schon seit einigen Tagen lag ein leeres Blatt auf Katjas Schreibtisch, das sie vorwurfsvoll ansah, in der Hoffnung endlich mit Wünschen gefüllt zu werden.  Heute hatte sie sich etwas Zeit genommen um ihren Lieben den Gefallen zu tun. Ein Wunschzettel sollte es werden.

Katja brühte sich einen Kaffee, holte sich aus der Weihnachtsdose ein paar Plätzchen und stellte den Player an mit adventlicher Musik. In dieser Stimmung musste es doch einfach etwas werden. Bereits Mitte November hatte ihre Familie, ihr diesen Zettel auf den Frühstückstisch gelegt. Susen, ihre Jüngste, verzierte ihn sogar mit einem Tannenzweig. Also ganz leer war er nicht. Übermorgen war der zweite Advent. Langsam wurden die Kinder und ihr Mann ungeduldig und sahen sie strafend an. Sie hatten ja recht, denn für den Rest der Familie waren alle Weihnachtsgeschenke längst besorgt und hübsch verpackt. Katja liebte es gar nicht sich in letzter Minute in den Einkaufstrubel zu stürzen.

Als sie so da saß und der Musik lauschte, wanderten ihre Gedanken zurück in die Kindheit. Mit welcher Freude hatte sie damals den Wunschzettel geschrieben und ihn Knecht Ruprecht auf die Fensterbank gelegt, mit einer Möhre für seinen treuen Esel. Er würde diesen dann schon dem Christkind bringen. Katja gedachte an die kleinen Überraschungen mit denen ihre Eltern es verstanden hatten die Adventszeit zu schmücken. Es war eine arme Zeit, man hatte kaum das Nötigste, aber Herzenswärme, die hatte man sich erhalten.

Wieder schaute die junge Frau ihren leeren Wunschzettel an. Was sollte sie sich nur wünschen, wozu eigentlich? Man hatte doch alles und wenn sie einen Wunsch hatte, konnte sie sich diesen sofort selbst erfüllen. Warum zu Weihnachten extra Geld ausgeben? Das wollte sie eigentlich gar nicht. So grübelte sie vor sich hin.

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Plötzlich kam ihr eine Idee, ein Tag so ganz in Familie, so ganz ohne Störung, das wäre etwas Schönes, wie lange hatten sie sich das nicht mehr gegönnt. Damals als die Kinder klein waren, war es etwas anderes, aber heute… Ihre Großen gingen ihre eigenen Wege, nur das Nesthäkchen war noch um sie herum, aber es gestaltete sich auch den Tag nach seinen Wünschen. In ihren ersten Ehejahren hatte Jochen sie auch ab und zu bekocht. Er konnte gut kochen, hatte es sich aber im Laufe der Jahre abgewöhnt. Das wäre etwas, dachte Katja wieder, ein Tag ohne jede Störung von außen nur in Familie.

So nahm sie den Stift zur Hand und schrieb, ich wünsche mir:

Der erste Feiertag ist Familientag!

Karen bereitet zu acht Uhr ein festliches Frühstück.

Paula übernimmt die Planung für den Spaziergang nach dem Frühstück, den die ganze Familie gemeinsam unternimmt.

Jochen kocht das Weihnachtsmenü

Susen bereitet den Spielenachmittag vor

Als Katja am Abend der Familie den Wunschzettel hinlegte staunten sie nicht schlecht. „Aber Mutti wir wollten dir etwas schenken“ oder „Muss das sein, ich habe mich schon mit meinen Freunden verabredet“, waren Sätze die Katja zu hören bekam. Desto näher das Weihnachtsfest rückte, desto ruhiger und ausgeglichener wurde ihre Familie. Jochen freute sich aus kochen, Paula war mit Begeisterung bei der Planung des Vormittags und ihr Jüngster hatte bereits seine alten Spiele hervorgeholt, die keiner mehr ansah in letzter Zeit und freute sich schon auf den Nachmittag.

Als die Familie am ersten Feiertag beim Abendbrot saß, das Katja liebevoll zubereitet hatte, waren alle voll Lobes über diesen Tag. „Das war der beste Wunschzettel, den du seit Jahren geschrieben hast“, stellten sie einmütig fest.

 

Annedore Lennartz
Weihnachten für Elfriede

Elfriede sah in den Kühlschrank. Ein Glas Würstchen, Brot, ein Stück Käse, Marmelade und Butter blickten ihr traurig entgegen. Elfriede seufzte. Obwohl sie alleine war, würde das nicht für die Feiertage reichen, da halfen auch die Kartoffeln und Nudeln nicht, die sie noch im Schrank hatte. Umständlich kramte sie in der Schublabe nach ihrem Portemonnaie. Schwarz und abgegriffen lag es in ihrer Hand. Als sie es öffnete, blickte ihr Johann entgegen. „Ach, Johann“, sagte sie und küsste das Bild ihres Mannes. „Wenn du mich so sehen könntest. Alt bin ich geworden, seit ich an deinem Sarg gestanden habe. Die Jahre sind dahin geschlichen, ein Tag ähnelte dem andern und die Feiertage sind auch schon lange nichts Besonderes mehr. Johann, heute ist Heilig Abend, aber was soll ich damit anfangen? Ich werde wieder alleine sein, wie jedes Jahr! Der Tannenzweig, die drei Kugeln auf dem Tisch und die Kerze machen es auch nicht besser. Das Fernsehprogramm gefällt mir nicht und draußen ist es viel zu kalt, um lange spazieren zu gehen.“ Sie sah auf ihre alte Armbanduhr. „Oh je, ich muss los, Johann. Ich will noch zum Metzger, wenigstens ein Stück Fleisch und etwas Wurst holen für die Feiertage. Ich liebe dich, Johann“, sagte sie und küsste noch einmal sein Foto und als sie das Portemonnaie zuklappte, machte sich eine Träne auf Johanns Bild breit.

Elfriede trat vor den Flurspiegel und sah sich an. Gerade als sie nach ihrem abgetragenen Mantel greifen wollte, hörte sie Johanns Stimme hinter sich: „Nein, Elfriede, den nicht. Nimm den guten blauen aus dem Schrank und zieh dir das Kleid mit den Blumen an, das ich so an dir geliebt habe und bind die Kette um, die ich dir geschenkt habe. Heute ist Weihnachten. Weihnachten geschehen Wunder.“ Erschrocken drehte Elfriede sich um. Hatte ihr ihr Kopf einen Streich gespielt? Der Flur war leer. „Ich habe wohl einen Moment lang geträumt“, sagte sie zu sich selbst, ging aber ins Schlafzimmer, zog sich um und band die Kette um, die sie so lange schon nicht mehr getragen hatte. Als sie sich mit dem feinen Mantel im Spiegel betrachtete, lächelte sie sich zu. „Gut siehst du aus, Elfriede“, sagte sie. Dann schickte sie einen Luftkuss durch den Raum und rief ihm hinterher: „Danke, Johann!“

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Beim Metzger war es voll, die Leute ungeduldig und Elfriede war froh, als sie wieder auf der Straße stand. Kalt war es. Sie legte das Fleischpaket in ihre große Handtasche und zog ihre Handschuhe wieder an. Eine Schneeflocke verfing sich in ihren grauen Haaren. Elfriede wanderte vorbei an hell erleuchteten Fenstern, die mit Sternen geschmückt waren. Sie hörte, dass es von der Kirchturmuhr dreimal schlug. „Jetzt bin ich schon fast eine Stunde spazieren gegangen, obwohl ich es nicht wollte“, dachte sie. Und seltsamer Weise schlicht sich etwas in ihr Herz, dass sich nach Weihnachten anfühlte. Ein Gefühl, dass sie so lange vermisst hatte.

Als Elfriede aufblickte, stand sie vor einer weit geöffneten Kirchentür. Ein warmes helles Licht strömte von innen nach außen. Wie war sie hierhergekommen? War es Zufall oder waren ihre Schritte gelenkt worden? Elfriede erkannte die Kirche wieder. Hier waren sie und Johann als junge Leute getraut worden. Hier hatte sie unter Tränen von Johann Abschied genommen und sie hatte das Gefühl gehabt, hier würde ihr Leben enden, denn ein Leben ohne Johann war für sie kein Leben mehr. Seitdem war sie nie mehr hier gewesen. Wie im Traum blickte sie in die hellen Lichtstrahlen, die sich in den Kirchenstufen spiegelten. „Kommen Sie doch herein“, riss eine freundliche Stimme sie aus ihren Gedanken. Sie gehörte einem älteren Herrn, der in der offenen Kirchentür stand. „Gleich ist hier ein Weihnachtsgottesdienst.“ Der Herr machte eine einladende Geste mit seiner Hand. Elfriede zögerte einen Augenblick. Warum eigentlich nicht? Es war an der Zeit, mit dem Gott Frieden zu schließen, den sie für ihre Einsamkeit und ihre verlorene Liebe verantwortlich machte. „Manchmal braucht es nur einen Schritt und alles ändert sich“, sagte der ältere Herr, als habe er ihre Gedanken erraten. Still saß Elfriede im Gottesdienst, leise sang sie die Lieder mit und ertappte sich dabei, dass sie nach langer Zeit wieder betete. Sie fühlte „Weihnachten“ und es fühlte sich heilend an.

Nach  dem Gottesdienst sprach der ältere Herr sie an. Er reichte ihr seine Hand und stellte sich vor. „Ich heiße Martin Ziegler und würde Sie gerne im Kirchenkaffee zu einem warmen Getränk einladen. Sie sind doch auch alleine, nicht wahr?“ „Sieht man mir das an?“ fragte Elfriede mit einem feinen Lächeln. „Ja“, sagte Martin Ziegler. „Uns Zurückgelassenen“ sieht man das an.“ Als sie das Kirchenkaffee betraten, stelle Elfriede erstaunt fest, dass es dort noch mehr „Zurückgelassene“ gab. Elfriede war froh, dass sie sich so schick gemacht hatte und fühlte sich auf einmal wieder richtig lebendig. Martins gute Art gefiel ihr und sie gefiel Martin, das sah sie in seinen Augen. Als sie einander die Hand zum Abschied gaben, hatten sie längst ihre Adressen ausgetauscht. Elfriede nahm ihre Handtasche vom Boden auf und der Verschluss öffnete sich. Sie entdeckte die schon vergessene Metzgertüte mit dem Weihnachtsbraten. Langsam schloss sie ihre Tasche, dann nahm sie all ihren Mut zusammen und sagte: „Herr Ziegler, haben Sie Lust mit mir den Heiligen Abend zu verbringen? Wir „Zurückgelassenen“ könnten zusammen kochen. Der Braten, den ich gekauft habe, reicht mühelos für zwei und eine Flasche Wein findet sich sicher auch noch.“ Martin Ziegler nickte strahlend, reichte ihr galant seinen Arm und Elfriedes Herz machte vor Freude einen Hüpfer.

In Elfriedes altem Portemonnaie lächelte Johann auf seinem Foto still vor sich hin. Die Träne war längst getrocknet. Er gönnte seiner Elfriede dieses Fest nach langer Trauer und ein neues glückliches Leben dazu.

Gabriele Maricic-Kaiblinger
Ein Heilig-Abend

Langsam setzte er sich auf. Seine Füße schlüpften in die zerschlissenen Filzpatschen, die vor dem Bett standen und seine rechte Hand griff nach dem Morgenmantel, der fein säuberlich über einer Sessellehne hing. Langsam, die Hand auf einen Stock gestützt, bewegte er sich ins Badezimmer. Als er wieder rauskam, fragte ihn der Mann, mit dem er das Zimmer teilte:
"Was ist los? Was tust du schon so früh auf?"
"Weißt du nicht, was heut' für ein Tag ist?"
"Was denn für einer?"
"Heilig-Abend."
"Und? Den feiern wir doch erst am Abend ... jetzt ist es sieben Uhr ..."
"Ja, aber sie könnten kommen ..."
"Wer?"
"Mein Sohn, die Enkel und ihre Familien ..."
Der Mitbewohner seufzte.
"Seit drei Jahren hat dich niemand besucht."
"Sie wohnen weit weg."
"Hunderte Kilometer sind trotzdem nicht aus der Welt."
"Letztes Jahr war jemand krank."
"Aber nicht alle."
"Sie haben Pakete geschickt."
"Ja, ja ..."
"Bei dir kommt doch auch niemand."
"Ich hab' auch niemanden mehr."
"Heute kommen sie bestimmt. Ich spür's."
Der alte Mann zog sich an und zündete die vier Kerzen am Adventgesteck an, das in der Mitte des Tisches stand. Sein "Zimmergenosse" seufzte nochmal, dann stand auch er auf. Eine halbe Stunde später gingen sie in den Gemeinschaftsraum, um zu frühstücken.

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Das Mittagessen nahmen sie heute im Zimmer ein, da der Gemeinschaftsraum für die Weihnachtsfeier am Abend festlich geschmückt wurde. Sie nahmen beide nur wenig zu sich, um beim Festmahl etwas mehr zulangen zu können. Weihnachtsmusik klang aus dem kleinen Radio und die Kerzen am Adventkranz hatten die beiden ebenfalls wieder angezündet, um jetzt schon etwas Stimmung herbeizuzaubern.
„Siehst du, heuer hast du nicht mal Post bekommen“, konnte sein Zimmerkumpel sich's nicht verkneifen zu sagen. Er war nun mal Realist, schon in jungen Jahren gewesen.
„Gutes Zeichen. Sie kommen selbst. Jetzt ist es sicher“, antwortete der alte Mann und lächelte.
„Du bist ein Träumer ...“
„Solltest du auch mal versuchen.“
Der „Realist“ schüttelte nur verständnislos den Kopf. Träumen? Er hatte die Wirklichkeit schon immer genommen, wie sie war.
„Wenn ich meine Träume nicht hätte, was dann noch …?“. Der alte Mann blies die Kerzen aus und legte sich aufs Bett, ohne eine Antwort abzuwarten. Für ihn war's sowieso mehr Feststellung als Frage. Das wusste sein Gegenüber und legte sich ebenfalls zum Mittagsschläfchen hin.

Um halb fünf Uhr Nachmittag nahmen alle Altersheimbewohner im festlich dekorierten Gemeinschaftsraum Platz. In der Ecke beim großen Fenster war ein Christbaum mit bunten Kugeln, Nüssen, roten Äpfeln, Lebkuchen und Strohsternen geschmückt worden. Elektrische Kerzen ließen die Kugeln glänzen. Daneben, auf einem kleinen Tisch, stand eine Krippe mit selbstgeschnitzten und bemalten Figuren. Weiße Tischdecken zierten die Tische, in deren Mitte jeweils ein nach frischen Nadeln duftendes Gesteck mit einer Kerze drauf, stand. Selbst auf die Fensterscheiben waren mit weißem Kunstschnee Sterne gesprüht.
Der „Hauspfarrer“, der ebenso jeden Sonntag für die betagten Menschen Zeit hatte, zelebrierte die Hl. Messe. Doch der alte Mann, ansonsten stets andächtig den Worten des Pfarrers lauschend, war heute unruhig. Immer wieder blickte er zur Eingangstür und als der Pfarrer das Weihnachtsevangelium verlas und vom Kind in der Krippe erzählte, da schweiften seine Gedanken vollends ab. Er dachte an seine eigenen Kinder, Enkel und Urenkel und dass ihr Erscheinen bei ihm persönlich genausoviel Freude auslösen würde wie das Gedanken an die Geburt von Jesus. Sogar die Weihnachtslieder sang er nur bruchstückhaft mit, obwohl er die Texte alle konnte und immer gerne gesungen hatte. Und als eine Gruppe Volksschulkinder ein Hirtenspiel vorführte, waren seine Gedanken abermals bei seinen Nachkommen.
Beim Festmahl stocherte der alte Mann nur herum, auch von den Keksen kostete er, der ansonsten trotz seines Alters noch sehr vernascht war, nur wenig. Nicht mal über das Geschenk der Heimleitung – ein Paar warme Hausschuhe, die er sich bereits lange gewünscht hatte – konnte er sich so richtig freuen. Es fehlte einfach etwas. Etwas fehlte ganz und gar. Schließlich konnte er die heitere Feststimmung nicht länger ertragen. Er ging auf sein Zimmer und wartete.
„Sie kommen sicher bald“, murmelte er dabei vor sich hin.
Später, es war neun Uhr abends vorbei, kam sein Zimmer-Mitbewohner.
„Was bläst du hier alleine Trübsal? Du kennst doch deine Verwandten ...“
„Sie kommen. Ich spür's. Vielleicht … vielleicht morgen am Christtag. Ja, das wird’s sein. Sie kommen am Christtag. Ist doch logisch! Ist ja erst der richtige Feiertag“, fügte er noch, mehr für sich selbst, hinzu. So konnte er noch einen Tag hoffen, dass es so sein könnte … und träumen.

Buchvorstellung von Gabriele Maricic-Kaiblinger

Titel: still-dröhnend und lichterdunkel
Autor: Gabriele Maricic-Kaiblinger

erschienen bei BoD (Books on Demand)
BoD-Nr.: 1176018
ISBN: 9783739205755
E-Book ISBN: 9783739283180

Gesamtseitenzahl: 200
Einband: Paperback


Der aktuelle Klappentext lautet:

Geschichten für Groß und Klein rund um die "Weihnachtswunderzeit". 
Zum Nachdenken, Schmunzeln und Weitererzählen. 
Starke Kinder mit Herz, lustig-kluge Tiere, einsame Menschen
und Heimatsuchende bevölkern den heiter-besinnlichen Band.
"Spannungswürze" streuen die zwei Kurzkrimis, "prickelnd" führt die Silvestergeschichte in das neue Jahr.

 
Inhalt:  
          
                                            
weihnachts-kinderstark:                      
Kerzen für das Christkind / Das Mädchen an der Straßenecke / 
Peter und der Weihnachtsmann / Der Rollstuhljunge /
Sein Erlebnistraum                                       
 
weihnachts-besinnlich:                            
Besuch / Begegnung / Ein Heilig-Abend / Das Kind in der Krippe                                
 
weihnachts-tierisch:                           
Gina, die zur Weihnacht kam / Fritzi, das Rehkitz / Fritzis neue Heimat                           
 
weihnachts-herbergsfremd:                                  
Herbergsuchen – irgendwo auf dieser Welt / Neue Heimat /
Eine "andere", heutige Herbergsuche / Auf einer Parkbank /
... und Weihnachten wär' doch überall / Heimatsuche 2015                                         
 
weihnachts-kriminalistisch:                        
Das besondere Weihnachtsgeschenk / 
Des Pfarrers neue Glocke                             
 
silvester-freudig:                                          
Es begann in der Silvesternacht                    

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