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Klassische Gedichte zu verschiedenen Themenbereichen

Klassische Gedichte. Eine lose Sammlung zu verschiedenen Themenbereichen. Besinnliche und heitere Texte laden den Leser zum Verweilen ein.

Steg ins Meer
Foto: koseb / pixabay.com

Es weht dein ferner Atem mich sachte kühlend an.
Ganz tief lieg ich verwoben in dieser Stunde Bann.
Und alles unser Wissen zerrinnt in Abendglut,
von allen unsern Worten bleibt eins nur: sei mir gut!

"Abendsonne" Walter Calé (1881-1904)

Gedichte klassischer Autoren von A - Z

Altes Lied
Georg Busse-Palma

Am Fenster
Auguste Kurs

Auf Bergeshöhe
Ricarda Huch

Auf diesem Hügel überseh ich meine Welt
Bettina von Arnim

Augen in der Großstadt
Kurt Tucholsky

Dein Wille geschehe, doch was ist dein ...?
Adele Schopenhauer

Der Abend ist mein Buch
Rainer Maria Rilke

Der Bettelmann und der Tod
Karl-Friedrich Drollinger

Der Heimweg führte mich ...
Walter Calé

Der Panther
Rainer Maria Rilke

Die Eintagsfliege
Alois Wohlgemuth

Die Federn
Natalie von Herder

Die Gäste der Buche
Rudolf Baumbach

Die Wühlmaus
Fred Endrikat

Ein kleines Lied
Marie von Ebner-Eschenbach

Es war einmal
Franz Josef Zlatnik

Glaube an die Welt
Theodor Fontane
 

 

 

Himmelsmärchen
Ricarda Huch

Ich bin der reichste Mann der Welt
Arno Holz

Ich lebe mein Leben in wachsenden ...
Rainer Maria Rilke

Interpretation der Gesetze
Aurora Stechern

Lied des Einsiedels
Stefan Zweig

Mein Wald, mein Leben
Emerenz Meier

Morgenlied
Joseph von Eichendorff

Naturstimmen
Betty Paoli

Prähistorische Ballade
Friedrich Theodor Vischer

Reine Nacht
Leo Sternberg

Rosen
Thekla Lingen

Schicksal
Fred Endrikat

Uralter Worte kundig
Ricarda Huch

Von Lacerten
Paul Heyse

Vormittag
Selma Meerbaum-Eisinger

Weg
Theodor Däubler

Wenn
Ludwig Fulda

Woher?
Maria Janitschek

Marie von Ebner-Eschenbach (1830-1916)
Ein kleines Lied

Ein kleines Lied! Wie geht's nur an,
Daß man so lieb es haben kann,
Was liegt darin? erzähle!

Es liegt darin ein wenig Klang,
Ein wenig Wohllaut und Gesang
Und eine ganze Seele.

Rainer Maria Rilke (1875-1926)
Der Abend ist mein Buch

Der Abend ist mein Buch. Ihm prangen 
die Deckel purpurn in Damast; 
ich löse seine goldnen Spangen
mit kühlen Händen, ohne Hast.

Und lese seine erste Seite,
beglückt durch den vertrauten Ton, -
und lese leiser seine zweite,
und seine dritte träum ich schon.

Rudolf Baumbach (1840-1905)
Die Gäste der Buche

Mietegäste vier im Haus
Hat die alte Buche.
Tief im Keller wohnt die Maus,
Nagt am Hungertuche.

Stolz auf seinen roten Rock
Und gesparten Samen
stitzt ein Protz im ersten Stock;
Eichhorn ist sein Namen.

Weiter oben hat der Specht
Seine Werktstatt liegen,
Hackt und zimmert kunstgerecht,
Daß die Späne fliegen.

Auf dem Wipfel im Geäst
Pfeift ein winzig kleiner
Musikante froh im Nest.
Miete zahlt nicht einer.

Joseph von Eichendorff (1788-1857)
Morgenlied

Kein Stimmlein noch schallt von allen
In frühester Morgenstund,
Wie still ist's noch in den Hallen
Durch den weiten Waldesgrund.

Ich stehe hoch überm Tale
Stille vor großer Lust,
Und schau nach dem ersten Strahle,
Kühl schauernd in tiefster Brust.

Wie sieht da zu dieser Stunde
So anders das Land herauf,
Nichts hör ich da in der Runde
Als von fern der Ströme Lauf.

Und ehe sich alle erhoben
Des Tages Freuden und Weh,
will ich, Herr Gott, dich loben
Hier einsam in stiller Höh. -

Nun rauschen schon stärker die Wälder,
Morgenlicht funkelt herauf,
Die Lerche singt über den Feldern,
Schöne Erde, nun wache auf!

Ricarda Huch (1864-1947)
Auf Bergeshöhe

Überm Staub und Lärm der Gassen,
Wind und Wolken zugesellt,
Fühl ich tröstend mich umfassen
Eine makellose Welt.

Seine Flügel senkt mein Sehnen,
Alle Wünsche gehn zur Ruh,
Und die Quelle meiner Tränen
Schließt sich sacht von selber zu.

Ludwig Fulda (1862-1939)
Wenn

Ja, hätte mir vor Anbeginn
So manches nicht gefehlt,
Und hätt ich nur mit anderm Sinn
Den andern Weg erwählt,
Und hätt ich auf dem rechten Pfad
Die rechte Hilf empfahn
Und so statt dessen, was ich tat,
Das Gegenteil getan,
Und hätt ich vieles nicht gemußt
Auf höheres Geheiß
Und nur die Hälft‘ vorher gewußt
Von dem, was heut ich weiß,
Und hätt‘ ich ernstlich nur gewollt,
Ja, wollt' ich nur noch jetzt,
Und wäre mir das Glück so hold
Wie manchem der's nicht schätzt,
Und hätt' ich zehnmal soviel Geld
Und könnt', was ich nicht kann,
Und käm noch einmal auf die Welt -
Ja, dann!

Rainer Maria Rilke (1875-1926)
Der Panther

Im Jardin des Plantes, Paris

Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, dass er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.

Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.

Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf –. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille –
und hört im Herzen auf zu sein.

Fred Endrikat (1890-1942)
Schicksal

Soviel Dinge gehn im Leben 
auf dich zu, noch mehr daneben. 
Mensch, dein Weg ist dir bestimmt. 
Nimm das Schicksal, wie es kimmt.

Jeder muß sein Päcklein tragen, 
teils mit Wohl-, teils Unbehagen. 
Schau nach vorn, dort gehen sie: 
Hans im Glück und Pechmarie.

Etwas Sonne, sehr viel Regen, 
Freude folgt den Nackenschlägen, 
oder manchmal umgedreht, 
wie es so im Leben geht.

Wieviel Blüten an dem Baume 
werden nie zur reifen Pflaume. 
Wieviel Pulver, wieviel Blei 
schießt der Feind an dir vorbei.

Weine nicht um das Verpaßte. 
Denke: Was du hast, das haste. 
Kriegst du nicht, was du gewollt, 
hat es wohl nicht sein gesollt.

Kurt Tucholsky (1890-1935)
Augen in der Großstadt

Wenn du zur Arbeit gehst
am frühen Morgen,
wenn du am Bahnhof stehst
mit deinen Sorgen:
da zeigt die Stadt
dir asphaltglatt
im Menschentrichter
Millionen Gesichter:
Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick,
die Braue, Pupillen, die Lider –
Was war das? vielleicht dein Lebensglück…
vorbei, verweht, nie wieder.

Du gehst dein Leben lang
auf tausend Straßen;
du siehst auf deinem Gang, die
dich vergaßen.
Ein Auge winkt,
die Seele klingt;
du hast’s gefunden,
nur für Sekunden…
Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick,
die Braue, Pupillen, die Lider –
Was war das? Kein Mensch dreht die Zeit zurück…
Vorbei, verweht, nie wieder.

Du musst auf deinem Gang
durch Städte wandern;
siehst einen Pulsschlag lang
den fremden Andern.
Es kann ein Feind sein,
es kann ein Freund sein,
es kann im Kampfe dein
Genosse sein.
Er sieht hinüber
und zieht vorüber …
Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick,
die Braue, Pupillen, die Lider –
Was war das?
Von der großen Menschheit ein Stück!
Vorbei, verweht, nie wieder.

*Quelle: www.kurt-tucholsky.info

Fred Endrikat (1890-1942)
Die Wühlmaus

Die Wühlmaus nagt von einer Wurzel
das W hinfort, bis an die -urzel.
Sie nagt dann an der hintern Stell
auch von der -urzel noch das l.
Die Wühlmaus nagt und nagt, o weh,
auch von der -urze- noch das e.
Sie nagt die Wurzel klein und kurz,
bis aus der -urze- wird ein -urz--.
Die Wühlmaus ohne Rast und Ruh
nagt von dem -urz-- auch noch das u.
Der Rest ist schwer zu reimen jetzt,
es bleibt zurück nur noch ein --rz--.
Nun steht dies --rz-- im Wald allein.
Die Wühlmäuse sind so gemein.

Arno Holz (1863-1929)
Ich bin der reichste Mann der Welt

Ich bin der reichste Mann der Welt!

Meine silbernen Yachten
schwimmen auf allen Meeren.

Goldne Villen glitzern durch meine Wälder in Japan,
in himmelhohen Alpenseeen spiegeln sich meine Schlösser,
auf tausend Inseln hängen meine purpurnen Gärten.

Ich beachte sie kaum.

An ihren aus Bronze gewundenen Schlangengittern
geh ich vorbei,
über meine Diamantgruben
lass ich die Lämmer grasen.

Die Sonne scheint,
ein Vogel singt,
ich bücke mich
und pflücke eine kleine Wiesenblume.

Und plötzlich weiß ich: ich bin der ärmste Bettler!

Ein Nichts ist meine ganze Herrlichkeit
vor diesem Thautropfen,
der in der Sonne funkelt.

Abendstimmung am Meer
Foto: Tabor / pixabay.com

Franz Josef Zlatnik (1871-1933)
Es war einmal

Ich schritt dahin durch menschenvolle Gassen, 
Dem Broterwerb entgegen, ernst gestimmt; 
Und schmerzlich wollt' es mir den Sinn erfassen, 
Wie all' dies Treiben, reich an Gier, an Hassen 
Und arm an Lieb', die besten Kräfte nimmt – 
Da tönte mir ein trauter Klang ans Ohr, 
Erhellend meines Sinnens Nebelflor.

Ich sah ein Weib in meiner Nähe schreiten, 
Gar sorglich führend an der Hand ihr Kind, 
Sie schien es froh zur Schule hinzuleiten: 
Von ihrem Munde hört' ich Worte gleiten, 
Die längst dem Herzen lieb und teuer sind: 
Umhastet rings von Menschen ohne Zahl, 
Erzählte sie dem Kind: »Es war einmal ...«

Wie sie, erzählend, Leben, Traum vertauschte, 
Des Alltags wüstes Treiben mir entschwand; 
Mir war, als ich den Märchenworten lauschte, 
Als ob der Jugend Wundergarten rauschte, 
Gehegt dereinst von meiner Mutter Hand – 
Als ob's von ihr in all der Unrast Qual 
Aus Ätherhöhen klang: »Es war einmal ...«

Bettina von Arnim (1785-1859)
Auf diesem Hügel überseh ich meine Welt

Auf diesem Hügel überseh ich meine Welt!
Hinab ins Tal, mit Rasen sanft begleitet,
Vom Weg durchzogen, der hinüber leitet,
Das weiße Haus inmitten aufgestellt,
Was ist's, worin sich hier der Sinn gefällt?

Auf diesem Hügel überseh ich meine Welt!
Erstieg ich auch der Länder steilste Höhen,
Von wo ich könnt die Schiffe fahren sehen
Und Städte fern und nah von Bergen stolz umstellt,
Nichts ist's, was mir den Blick gefesselt hält.

Auf diesem Hügel überseh ich meine Welt!
Und könnt ich Paradiese überschauen,
Ich sehnte mich zurück nach jenen Auen,
Wo Deines Daches Zinne meinem Blick sich stellt,
Denn der allein umgrenzet meine Welt.

Paul Heyse (1830-1914)
Von Lacerten (1.)

Eine fand ich, eine fette,
Die vor ihrem Schlupfloch saß,
Ehrbar, sauber und behaglich
Und die Augen hell wie Glas.

An dem warmbesonnten Steine
Putzte sie das Näschen blank,
Fing sich dann und wann ein Mückchen,
Das sich ihr zu nahe schwang.

Rechts und links durch alle Ritzen
Raschelte die junge Brut.
Sie allein blieb stattlich sitzen,
Wie gereifte Weisheit tut.

Nur zuweilen mit dem Schwänzchen
Zuckte sie bedeutungsvoll,
Trieben es die jungen Leute
In den Kammern gar zu toll.

So in innres Schaun versunken
Und Genuß des Sonnenlichts,
Nicht erschrak sie, da ich nahte,
Denn der Weise fürchtet nichts.

Wie der Philosoph der Tonne
Sah sie mich gelassen an:
Geh mir etwas aus der Sonne,
Unbekannter, junger Mann!

Quelle: www.goethezeitportal.de

Leo Sternberg (1876-1937)
Reine Nacht

Den kleinen Mond beflügelt
ein Silberwölkchenpaar:
ein fliegend Engelköpfchen
am Himmel blau und klar.

Es stehen lauter Wiegen
da drunten auf der Welt:
Kind neben Kind , das wachend
die Augen offen hält .

Sie wissen nichts von gestern
und auch von morgen nichts
und spiegeln sich im Frieden
des Engelsangesichts.

Stefan Zweig (1881-1942)
Lied des Einsiedels

Wie seltsam hat sich dies gewendet,
Daß aller Wege wirrer Sinn
Vor dieser schmalen Tür geendet
Und ich dabei so selig bin !

Der stummen Sterne reine Nähe
Weht mich mit ihrem Zauber an
Und hat der Erde Lust und Wehe
Von meinen Stunden abgetan.

Der süße Atem meiner Geige
Füllt nun mit Gnade mein Gemach
Und so ich mich dem Abend neige,
Wird Gottes Stimme in mir wach.

Wie seltsam hat sich dies gewendet,
Daß aller Wege wirrer Sinn
Vor dieser schmalen Tür geendet
Und ich dabei so selig bin

Und von der Welt nur dies begehre,
Die weißen Wolken anzusehn,
Die lächelnd, über Schmerz und Schwere
Von Gott hin zu den Menschen gehen.

Maria Janitschek (1859-1927)
Woher?

Tiefblau der Himmel,
hell glänzt der Firn,
da fällt ein Tropfen
auf meine Stirn.

Ich wend mich um,
und spähe, spähe ..
nicht Wolken, nicht Menschen
in meiner Nähe.

Du schöner Himmel,
von Glanz umwoben,
sag, weinen denn
die auch dort oben?

Ricarda Huch (1864-1947)
Himmelsmärchen

Nun sind wir wieder unter uns Göttern,
Sagte der Mond, als der Abend dunkelte,
Und winkte zum Reigen den Planeten,
Seinen Vettern.
Das Goldblut funkelte
Durch demantene Schleier,
Wie sie langsam sich drehten
In festlich melodischem Schritt.
Dann reichten sie die Leier
Der Erde, Scheherezade,
Und alle lauschten
Ihrer glorreich wilden Ballade.
Die Nacht summte träumerisch mit.
Die Tränen rauschten.

Rainer Maria Rilke (1875-1926)
Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen

Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen, 
die sich über die Dinge ziehn. 
Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen, 
aber versuchen will ich ihn.

Ich kreise um Gott, um den uralten Turm, 
und ich kreise Jahrtausende lang; 
und ich weiß noch nicht: 
bin ich ein Falke, ein Sturm oder ein großer Gesang.

Natalie von Herder (1802-1871)
Die Federn

Drei Federn wurden uns für dieses Leben
Zum wechselnden Gebrauch anheim gegeben.
Aus seinem Fittich gab zuerst ein Engel
Die eine Dir, daß Du des Lebens Mängel
Damit verzeichnest mit Gelassenheit.

Die zweite stammt aus eines Adlers Flügel,
Sie folgt der Phantasie mit leichtem Zügel,
Kühn bis zur Sonne, über Wolken hebet
Ihr Flug sie, der der Wirklichkeit entschwebet,
Erheiternd mildert sie den Ernst der Zeit.

Die dritte löste sich aus Amors Schwingen,
Um treuer Liebe Sprache Dir zu bringen;
Sie bleibt sich gleich, wird überall verstanden,
In allen Zeiten, wie in allen Landen,
Sie trägt Dein Glück in's Buch des Lebens ein.

Karl-Friedrich Drollinger (1688-1742)
Der Bettelmann und der Tod

Ein Bettelmann warf seine Krücke
Voll Unmut in den tiefen Rhein
Und sprach, erzürnt auf sein Geschicke:
O Tod, verkürze meine Pein!
Der Tod erschien ihm aus Erbarmen.
Ei, sprach der Bettler, bist du hier?
Mein Trost und Stab entfiel mir Armen,
Ach, schwimm ihm nach, und hol ihn mir!

Theodor Fontane (1819-1898)
Glaube an die Welt

Laß ab von diesem Zweifeln, Klauben,
vor dem das Beste selbst zerfällt,
und wahre dir den vollen Glauben
an diese Welt trotz dieser Welt.

Schau hin auf eines Weibes Züge,
das lächelnd auf den Säugling blickt,
und fühl’s: es ist nicht alles Lüge,
was uns das Leben bringt und schickt.

Und, Herze, willst du ganz genesen,
sei selber wahr, sei selber rein!
Was wir in Welt und Menschen lesen,
ist nur der eigene Widerschein.

Beutst du dem Geiste seine Nahrung,
so laß nicht darben sein Gemüt,
des Lebens höchste Offenbarung
doch immer aus dem Herzen blüht.

Ein Gruß aus frischer Knabenkehle,
ja mehr noch eines Kindes Lall’n
kann leuchtender in deine Seele
wie Weisheit aller Weisen fall’n.

Erst unter Kuß und Spiel und Scherzen
erkennst du ganz, was Leben heißt;
o lerne denken mit dem Herzen,
und lerne fühlen mit dem Geist.

Selma Meerbaum-Eisinger (1924-1942)
Vormittag

Der Wind singt sein Schlaflied
mit träumendem Rauschen,
die Blätter umschmeichelt er weich.
Ich laß mich verführen, dem Liede zu lauschen,
und fühl' mich den Gräsern gleich.

Es schauern die Lüfte
und kühlen mein heißes,
in Sehnsucht gehülltes Gesicht.
Die ziehenden Wolken verstreuen ihr weißes,
der Sonne gestohlenes Licht.

Die alte Akazie
verrieselt ihr Schweigen
in zitterndem Blättergewirr.
Die Düfte der Erde erheben sich, steigen
und fallen dann wieder zu mir.

Walter Calé (1881-1904)
Der Heimweg führte mich ...

Der Heimweg führte mich in dieser Nacht
Zum Parke, welcher voller Stille lag,
Und viele dürre Blätter raschelten.
Und zwischen zweien hohen dunkeln Stämmen
Erschien es mir und war mir wohlbekannt
Und weinte auch und nickt' und lockte sehr;
Doch als der Wind ein wenig lauter klagte,
Zerrann es...

Ricarda Huch (1864-1947)
Uralter Worte kundig

Uralter Worte kundig kommt die Nacht;
Sie löst den Dingen Rüstung ab und Bande,
Sie wechselt die Gestalten und Gewande
Und hüllt den Streit in gleiche braune Tracht.

Da rührt das steinerne Gebirg sich sacht
Und schwillt wie Meer hinüber in die Lande.
Der Abgrund kriecht verlangend bis zum Rande
Und trinkt der Sterne hingebeugte Pracht.

Ich halte Dich und bin von Dir umschlossen,
Erschöpfte Wandrer wiederum zu Haus;
So fühl ich Dich in Fleisch und Blut gegossen,

Von Deinem Leib und Leben meins umkleidet.
Die Seele ruht von langer Sehnsucht aus,
Die eins vom andern nicht mehr unterscheidet.

Aurora Stechern (um 1850)
Interpretation der Gesetze

»Falsches Zeugniß reden
Wider deinen Nächsten
Sollst du nie!
In Indicien fehlen,
Klatschen über Jeden,
Na, das mögen sie!«
 
»Du sollst auch nicht tödten,
Denn das Blutvergießen
Richtet man!
Die man liebt, zu quälen,
Das in Kerker schließen,
Na, das geht noch an!«
 
»Du sollst auch nicht stehlen,
Denn es ist ein Grauen
Dieberei!
Güter confisciren,
Über's Ohr zu hauen,
Na, was ist dabei? - ! -

Moral davon:

Mit dem Gewissen muss man fertig werden,
Und jedes Ding hat seine Zeit;
Wer gar zu häklich ist auf Erden,
Der kommt gewiß nicht weit! -

Quelle: http://www.wortblume.de/dichterinnen/

Adele Schopenhauer (1797-1849)
[Dein Wille geschehe! - Doch was ist dein Wille?]

Dein Wille geschehe! - Doch was ist dein Wille?
Dein heilig Reich komme - doch wo naht es sich?
Ich ruf's durch die Welt; doch in ewiger Stille
Verbreitet sich Schweigen und Grausen um mich.
 
Dich such' ich im Himmel, auf Erden, im Herzen,
Doch Vater, Allew'ger, ach wo find' ich Licht?
Dich faßt' ich in Wonnen, Dich faßt' ich in Schmerzen,
Nun irr' ich im Dunkel und fasse Dich nicht.
 
Und bin ich ein Geist denn, und hat ewig Leben
Dein Athem dem Kind in die Seele gehaucht,
So muß deine Liebe dort Antwort mir geben,
Weil hier meine Liebe die Antwort gebraucht.

Quelle: http://www.wortblume.de/dichterinnen/

Meeresküste
Foto: Frank Winkler / pixabay.com

Betty Paoli (1814-1894)
Naturstimmen

Hell glüht im Wald, dem düstern,
Des Abendlichtes Brände,
Die Blätter rauschen, flüstern -
O, wer sie doch verstände!

Empor aus dichten Zweigen
Gleich einer Opferspende
Der Vögel Lieder steigen -
O, wer sie doch verstände!

Der Bach zieht seine Kreise
Durch grüne Uferwände,
Die Wellen murmeln leise -
O, wer sie doch verstände!

In all' den Wechselreden,
Ob nicht ein Gruß sich fände
Aus dem verlornen Eden? -
O, wer sie doch verstände!

Quelle: http://www.wortblume.de/dichterinnen/

Friedrich Theodor Vischer (1807-1887)
Prähistorische Ballade

Ein Ichthyosaur sich wälzte
Am schlammigen, mulstrigen Sumpf.
Ihm war in der Tiefe der Seele
So säuerlich, saurisch und dumpf,

So dämlich, so zäh und so tranig,
So schwer und so bleiern und stumpf;
Er stürzte sich in das Moorbad
Mit platschendem, tappigem Pflumpf.

Da sah er der Ichthyosaurin,
So zart und so rund und so schlank,
Ins schmachtende Eidechsenauge,
Da ward er vor Liebe so krank.

Da zog es ihn hin zu der Holden
Durchs klebrige Urweltgemüs,
Da ward aus dem Ichthyosauren
Der zärtlichste Ichthyosüß.

Theodor Däubler (1876-1934)
Weg

Mit dem Monde will ich wandeln:
Schlangenwege über Berge
führen Träume, bringen Schritte
durch den Wald dem Monde zu.

Durch Zypressen staunt er plötzlich,
dass ich ihm entgegengeh`.
Aus dem Ölbaum blaut er lächelnd,
wenn mich´s friedlich talwärts zieht.

Schlangenwege durch die Wälder
bringen mich zum Silbersee:
nur ein Nachen auf dem Wasser,
heilig oben unser Mond.

Schlangenwege durch die Wälder
führen mich zu einem Berg.
Oben steht der Mond und wartet,
und ich steige leicht empor.

Georg Busse-Palma (1876-1915)
Altes Lied

Es ist manch heimliche Quelle,
die klagend im Dunkeln singt:
Ist denn kein Becher zur Stelle,
kein Becher, der mich trinkt?

Es ist an heimlicher Stelle
manch Becher arm und leer,
der von der klagenden Quelle
so gern erfüllet wär'!

Wenn der von der klagenden Quelle
und die vom Becher wüsst':
manch Mädchen und mancher Geselle,
die hätten sich längst geküsst! --

Quelle: www.gedichtsuche.de

Emerenz Meier (1874-1928)
Mein Wald, mein Leben

Ich sah den Wald im Sonnenglanz,
Vom Abendrot beleuchtet,
Belebt von düstrer Nebel Tanz,
Vom Morgentau befeuchtet:
Stets blieb er ernst, stets blieb er schön,
Und stets mußt' ich ihn lieben.
Die Freud' an ihm bleibt mir besteh'n,
Die andern all zerstieben.

Ich sah den Wald im Sturmgebraus,
Vom Winter tief umnachtet,
Die Tannen sein in wirrem Graus,
Vom Nord dahingeschlachtet;
Und lieben mußt' ich ihn noch mehr,
Ihn meiden könnt' ich nimmer.
Schön ist er, düsterschön und hehr,
Und Heimat bleibt er immer.

Ich sah mit hellen Augen ihn,
Und auch mit tränenvollen;
Bald hob er meinen frohen Sinn,
Bald sänftigt' er mein Grollen.
In Sommersglut, in Winterfrost, -
Konnt' er mir mehr nicht geben, -
So gab er meinem Herzen Trost;
Und drum: Mein Wald, mein Leben!

Quelle: http://www.wortblume.de/dichterinnen/

Thekla Lingen (1866-1931)
Rosen

Ach, gestern hat er mir Rosen gebracht,
Sie haben geduftet die ganze Nacht,
Für ihn geworben, der meiner denkt -
Da hab' ich den Traum der Nacht ihm geschenkt.

Und heute geh' ich und lächle stumm,
Trag' seine Rosen mit mir herum
Und warte und lausche, und geht die Thür,
So zittert mein Herz: ach, käm er zu mir!

Und küsse die Rosen, die er gebracht,
Und gehe und suche den Traum der Nacht ...

Quelle: wortblume.de/dichterinnen/

Auguste Kurs (1815-1892)
Am Fenster

Ich lehn' am Fenster, trüb' und still,
Hab' Vieles überdacht,
Die Dämm'rung schwand mir unbemerkt,
Es naht sich schon die Nacht.
Die Häusermassen liegen da,
Von Nebel grau umwebt,
Als wären sie verlassen all'
Und gänzlich unbelebt.

Doch sieh! da blitzet fern ein Licht
Und wieder eins empor,
Bald glänzt aus allen Fenstern fast
Der helle Schein hervor.
Da weilen rings die Menschen nun
In Freude oder Schmerz,
Da regt sich manche fleiß'ge Hand,
Manch ungestümes Herz.

Was doch an Hoffnung Lust und Leid
Ein einz'ges Haus enthält,
Denn jedes Menschen Herz umschließt
Die ganze, eigne Welt.
Und in so kleinem Raume spinnt
Manch reiches Loos sich ab;
Dann gehen wir aus engem Raum
Zum engsten, in das Grab.

So kurz ein Tag! und wieviel birgt
Ein Tag an Lust und Leid,
Und aus wie wenig Tagen webt
Sich eine Lebenszeit!
Und wieder ist nach kurzer Frist
Ein Lebenstag verbracht
Habt gute Nacht, ihr Müden all',
Von Herzen gute Nacht!

Quelle: http://wortblume.de/dichterinnen/

Alois Wohlgemuth (1847-1930)
Die Eintagsfliege

Im Jahr des Heils, am achten Mai,
Ward sie geboren früh um drei.
Die Kinder-, Schul- und Jugendzeit
Bis zur vollkomm’nen Mündigkeit
Beanspruchte zwei volle Stunden.
Kaum war sie reif zu m Flug befunden,
Begann nach allgemeiner Mode
Bei ihr die Sturm- und Drangperiode;
Die währte bis es zehn Uhr war.
Die Sonne schien so warm und klar
Und weckte ihren Liebessinn:
Sie tollte, wirbelte dahin
In Glut durch Wälder, Tal und Flur
Bis gegen eindreiviertel Uhr
Und hat dabei den Keim gegeben
Zu manchem neuen Eintagsleben.
Um zwei Uhr trat schon Ruhe ein, -
Den Schwestern, welche erst um neun
Geboren, gab sie gute Lehren
Und kam zu Würden und zu Ehren.

Das währte bis um fünf; - danach
Ward sie allmählich altersschwach

Voll war die siebte Stunde kaum,
Da fiel sie tot herab vom Baum –
Und hat an diesem Tag erfahren,
Was unsereins in siebzig Jahren.

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